Reflexionen zur Fastenzeit: Fehlentwicklungen nicht übersehen

Wir haben uns zunächst mit dem Begriff »discretio«, wie er im kirchlichen Sprachgebrauch Verwendung findet, der konkreten kirchlichen Wirklichkeit zugewandt und die Betrachtung mit einigen Beobachtungen von Dietrich von Hildebrand (1889-1977) abgeschlossen, der sich besonders durch die Gabe der Unterscheidung der Geister auszeichnet. Weit davon entfernt, etwa extremistische Positionen einzunehmen, hat er doch sehr genau die Fehlentwicklungen, insbesondere nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, sehr genau beobachtet.

Dietrich von Hildebrand und auch andere haben darauf aufmerksam gemacht, daß es sich bei der Fülle an beklagenswerten Entwicklungen nicht nur um einzelne Fehler handeln kann, sondern daß es den Feinden der Kirche darum geht, sie von innen heraus zu zerstören oder sie in eine Art humanitäre Institution zu verwandeln. Letzteres ist besonders heimtückisch, weil man es möglicherweise nicht sofort erkennt und meint, es handle sich um eine Art christlichen Humanismus, wie es z.B. mit der Enzyklika »Fratelli Tutti« geschehen ist, die die Gläubigen zu verwirren vermag.

Man könnte sich fragen, warum es denn für den einfachen Gläubigen überhaupt wichtig ist, über Fehlentwicklungen in der Kirche informiert zu sein. Wäre es nicht besser, sie einfach ihren Weg gehen zu lassen und sie nicht mit diesen Problemen zu belasten? Gefährdet man nicht die Einheit der Kirche, wenn man über diese Fehlentwicklungen spricht?

Wenn sie keine Auswirkungen auf das Leben der Gläubigen hätten, könnte man sich das überlegen. Aber das ist nicht der Fall! Nehmen wir zum Beispiel das Schreiben »Fiducia Supplicans«. Hier werden Priester angehalten, homosexuelle Paare auf deren Wunsch hin zu segnen. Wenn nun von der Hierarchie eine Empfehlung für eine solche Segnung ausgesprochen wird, die der ehemalige Glaubenspräfekt, Kardinal Müller, für Blasphemie hält – und das ist leider geschehen -, dann können die Gläubigen in ihrem Gewissen irritiert werden.

Ein Beispiel: Wie sollen Gläubige damit umgehen, wenn bei einem Familientreffen, bei dem man auch gemeinsam zur heiligen Messe geht und die heilige Kommunion empfängt, auch ein praktizierendes homosexuelles Paar anwesend ist? Oder wie ist es für sie, wenn ein Verwandter in einer zweiten Verbindung lebt, die sakramentale Ehe aber noch besteht, und dieser unter Berufung auf »Amoris Laetitia« die heilige Kommunion empfängt? Ist es überhaupt noch möglich, in angemessener Weise die entsprechende Person darauf aufmerksam zu machen, daß sie in einer ungeordneten Verbindung lebt und deshalb nicht zum Tisch des Herrn hinzutreten kann?

Nach »Amoris Laetitia« wird das sehr schwierig sein. Wenn ein Katholik dennoch in einem Akt wahrer Nächstenliebe eine Korrektur vornimmt, wird er vielleicht als Antwort hören, der Papst habe das doch erlaubt, und er wird vom Rest der Familie leicht als intolerant gebrandmarkt werden.

Das alles sind keine konstruierten Beispiele, sondern reale Fälle, die zeigen, wie lehrmäßige und pastorale Fehlentwicklungen das Zeugnis der Kirche verdunkeln und konkrete Auswirkungen auf das Leben der einfachen Gläubigen haben.

Nehmen wir ein anderes Beispiel: Denken wir an eine eifrige marianische Gebetsgemeinschaft. Durch ihre enge Bindung an die Jungfrau Maria sind solche Gruppierungen in der Regel sehr glaubenstreu. Seit vielen Jahren beten sie schon mit großer Inbrunst um Bekehrungen, besonders auch für Menschen, die in andere Religionen eingebunden sind, damit sie den Weg zu Jesus und zur heiligen Kirche finden. Vielleicht haben sie sogar besonders für die Juden gebetet, daß sie nach der langen Zeit des Wartens ihren Messias erkennen mögen. Dann erzählt man ihnen eines Tages, der Papst habe gesagt, daß Gott alle Religionen gleichermaßen liebt. Vielleicht hören sie das noch mit Verwunderung. Später aber erfahren sie, der Papst habe gesagt, alle Religionen seien ein Weg zu Gott.

Was sollen sie nun denken? Als glaubenstreue Katholiken hören sie doch gerne auf den Papst!  Und jetzt? Vielleicht sagt man ihnen sogar, daß sie im Sinne von Franziskus doch besser darum beten sollen, daß die Juden bessere Juden, die Muslime bessere Muslime und die Hindus bessere Hindus werden!

Was für eine Verwirrung! Bleibt zu hoffen, daß sie sich nicht verwirren lassen und weiter für die Bekehrung aller Menschen beten, auch für die, welche aus anderen Religionen den Weg zu Jesus finden sollen.

Wenn es schon für die einfachen Gläubigen wichtig ist, über die Irrtümer des gegenwärtigen Pontifikats informiert zu sein, die eine Folge und eine Verdichtung früherer falscher Weichenstellungen sind, so ist dies umso wichtiger für diejenigen, die gerufen sind, den katholischen Glauben auf vielfältige Weise weiterzugeben.

In meinen Ansprachen und Vorträgen bin ich immer wieder auf die Fehlentwicklungen in der Kirche zu sprechen gekommen. Seit »Amoris Laetitia« habe ich fünf Vorträge zum Thema: »Die fünf Wunden der Kirche« ins Internet gestellt, von denen vier als Audios unter folgendem Link abrufbar sind:

der fünfte existiert nur in schriftlicher Form auf meiner Website:

Ich kann diese Vorträge nur empfehlen, weil sie aufzeigen, daß es sich nicht um einzelne Irrtümer handelt, sondern daß ein »anderer Geist« wirksam ist, welcher der Kirche und der Welt Schaden zufügen will, weil das Zeugnis des Erlösers nicht mehr klar erkennbar ist.

Hören wir abschließend einige Gedanken von Prof. Dietrich von Hildebrand, der uns im Sinne der Unterscheidung der Geister begleitet: Er spricht über das Verhältnis zu den Juden:

“Nun hat merkwürdigerweise der mißverstandene Ökumenismus – eine Krankheit, die man auch »Ökumenitis« nennen könnte – die überraschendsten Resultate gezeigt. Es ist eine heute in der Kirche weit verbreitete Tendenz, die Religion Israels als einen parallelen Weg zu Gott zu betrachten, der vielleicht nur weniger vollkommen als der christliche sei. Man solle nicht mehr danach trachten, die Juden zu bekehren – man solle sie mit Respekt und Achtung ihren eigenen Weg gehen lassen.”

Hildebrand weist dann darauf hin, daß dies alles im Widerspruch zum Zeugnis der Heiligen Schrift steht und kommt zu dem Schluß:

“Abgesehen von dem Widerspruch zu den Worten Christi und der Apostel, ja der ganzen Lehre der Kirche, ist diese Auffassung die größte Lieblosigkeit gegenüber den Juden. Der tiefste Kern wahrer Nächstenliebe ist die Sorge um das ewige Heil des Nächsten.” (Dietrich von Hildebrand: Der verwüstete Weinberg, Kapitel 11)

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