Mk 12,37b-44
Es war eine große Menschenmenge versammelt, und sie hörte Jesus mit Freude zu. Er lehrte sie und sagte: Nehmt euch in Acht vor den Schriftgelehrten! Sie gehen gern in langen Gewändern umher, lieben es, wenn man sie auf den Straßen und Plätzen grüßt, und sie wollen in der Synagoge die vordersten Sitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben. Sie bringen die Witwen um ihre Häuser und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete. Aber umso härter wird das Urteil sein, das sie erwartet. Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluß hergegeben; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.
Wenn wir den Predigten des Herrn lauschen, die uns in den Evangelien überliefert sind, dann hören wir nicht selten eine sehr deutliche Sprache.
Heute jedoch hören wir nicht selten Predigten, denen jedes Salz fehlt. Man meint, sich den Menschen anpassen zu müssen und nichts mehr sagen zu dürfen, was sie herausfordern könnte. Kaum noch laden die Predigten zur Umkehr des Lebens ein, sondern bestehen nicht selten nur aus allgemein menschlichen Überlegungen über das Leben.
Die deutlichen Predigten Jesu haben die Menschen nicht abgeschreckt. Wir hören heute, daß sie ihm mit Freude zuhörten. Die Freude kam daher, daß er die Wahrheit sagte. Gerne hört man in einer Predigt die Wahrheit und gerne nimmt man auch eine Einladung zur Umkehr an.
Im heutigen Evangelium stellt uns der Herr zwei deutliche Gegensätze vor Augen: ein schlechtes und ein gutes Beispiel. Das eine sind die Pharisäer, die oft der Kritik Jesu ausgesetzt waren. Ihnen gilt sie in besonderer Weise, weil sie eine hohe religiöse und gesellschaftliche Stellung innerhalb des Volkes einnahmen, das sie nicht selten in die Irre führten. Leider mißbrauchten sie oft ihre religiöse Stellung für die eigenen Interessen und betrogen damit Gott, sich selbst und die anderen Menschen. Durch das Evangelium lernen wir die Bosheit mancher Pharisäer kennen, die sich nicht scheuten, den Herrn zu verfolgen, und alles, was er tat, gegen ihn auszulegen.
Im Gegensatz dazu wird uns die Witwe vor Augen gestellt: eine Frau, die verborgen lebte. Den Witwen konnte es in Israel schlecht gehen. Sie hatten kein besonderes Ansehen beim Volk und nahmen keine Sonderstellung ein. Und diejenigen, die Sonderstellungen hatten, nutzten sie nicht, um den Witwen zu helfen. In der Witwe, die Jesus hier beobachtet, begegnet man einer liebenden Seele, die ganz Gott gehört.
Welchen Gegensatz läßt uns der Herr hier wahrnehmen! Diejenigen, die gerufen waren, vor dem Volk Zeugnis abzulegen und Vorbild zu sein, nutzten ihre Stellung aus und brachten gerade die Witwen, die schon arm waren, um ihren Besitz (vgl. z.B. Jes 10,2).
Diese Witwe, die arm war und alles schenkte, was sie besaß, nimmt Jesus als Vorbild für alle Zeiten. Bis zum heutigen Tag wirkt dieses gute Beispiel auf uns.
Jesus will uns aber nicht einfach eine Geschichte erzählt, sondern uns mahnen und belehren. Streng verfährt Gott mit denen, die gegen ihn und die Menschen handeln: “Sie bringen die Witwen um ihre Häuser und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete. Aber umso härter wird das Urteil sein, das sie erwartet.”
Deshalb sind solche Worte Jesu immer eine Mahnung, das eigene Leben zu überprüfen. Wo steckt noch die Haltung jener Pharisäer in mir? Es muß ja nicht so grob sein, wie in den genannten Beispielen. Wir können viel feiner nachspüren und auch den Heiligen Geist um Hilfe bitten, unser Herz genauer kennenzulernen, um den »Pharisäer« in uns zu entdecken und mit der Hilfe Gottes zu überwinden.
Das Beispiel der Witwe hingegen ist eine Einladung, sich von der Liebe herausfordern zu lassen. Wir können nie genug lieben, und immer vermögen wir in der Liebe zu wachsen. Ihr Beispiel fordert uns heraus! Sie gab nicht nur von ihrem Überfluß, nein, “sie hat alles gegeben, was sie besaß.”
Geben wir im Dienst für Gott alles oder nur etwas von uns? Geben wir uns selbst ganz oder setzen wir Grenzen?
Zur Verkündigung des Herrn gehört es, uns das schlechte Beispiel vor Augen zu stellen, um uns zu warnen und die Konsequenzen aufzuzeigen; das gute Beispiel hingegen, um uns anzulocken, das Gute zu verwirklichen und uns von der inneren Schönheit der Wahrheit anziehen zu lassen.