Während Jesus zum Paschafest in Jerusalem war, kamen viele zum Glauben an seinen Namen, da sie die Zeichen sahen, die er tat. Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an, denn er kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen; denn er wußte, was im Menschen war.
Es war da einer von den Pharisäern namens Nikodemus, ein führender Mann unter den Juden. Der suchte Jesus bei Nacht auf und sagte zu ihm: Rabbi, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist. Jesus antwortete ihm: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von oben geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus entgegnete ihm: Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden? Kann er etwa in den Schoß seiner Mutter zurückkehren und noch einmal geboren werden? Jesus antwortete: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus dem Wasser und dem Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, daß ich dir sagte: Ihr müßt von oben geboren werden. Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.
Immer mehr Menschen ließen sich durch die Zeichen Jesu überzeugen. Sie sahen, daß Gott durch ihn wirkte, und die Kunde von ihm verbreitete sich. Doch der Herr kannte die Menschen und wußte, wie leicht sie in ihren Überzeugungen ins Schwanken geraten und sich beeinflussen lassen, wie man es später bei der Verurteilung und Kreuzigung des Herrn sehen konnte. Jesus wollte sein Zeugnis nicht durch Menschen beglaubigen lassen. Sein himmlischer Vater bezeugte ihn in allem, was er sagte und tat.
Einer der verständigen Pharisäer namens Nikodemus suchte ihn nachts auf. Er hatte verstanden, daß solche Zeichen, wie Jesus sie tat, nur von Gott kommen konnten. So näherte er sich ihm vertrauensvoll, und Jesus sprach überraschende Worte zu ihm, die Nikodemus zu diesem Zeitpunkt nicht verstanden hat. Jesus ließ ihn wissen, daß der Mensch, wenn er in das Reich Gottes kommen will, neu geboren – und zwar »von oben«, also von Gott – geboren werden müsse.
Als Gläubige wissen wir heute, was diese Worte des Herrn zu bedeuten haben. Wir kennen als sichtbaren Akt die heilige Taufe auf den Namen des dreifaltigen Gottes. Damit wird der Same des neuen Lebens aus Gott in uns eingepflanzt, nachdem uns durch die Taufe – wie es der Katechismus lehrt – “sämtliche Sünden nachgelassen, die Erbsünde und alle persönlichen Sünden und die Sündenstrafen. In denen, die (auf diese Weise) wiedergeboren sind, verbleibt nichts, das sie am Eintritt in das Reich Gottes hindern würde, weder die Sünde Adams, noch die persönliche Sünde, noch die Folgen der Sünde, deren schlimmste die Trennung von Gott ist.” (Kath. Katechismus VII, 1263)
Nikodemus suchte nach einer Erklärung für die ungewohnten Worte des Rabbis und fragte nach, wie das denn möglich sei, niemand könne doch in den Schoß der Mutter zurückkehren.
Der Herr aber fährt in seiner Erklärung fort und macht nochmals deutlich, daß der Mensch auf natürlichem Weg nicht in das Reich Gottes gelangen kann, denn “was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist.”
Offensichtlich blieb das für Nikodemus zunächst ein Rätsel!
Verstehen wir heute wirklich besser, was es bedeutet, aus dem Geist geboren zu sein? Gewiß, wir wissen um die Taufe! Aber kennen wir auch das Leben aus dem Geist? Was ist denn der Unterschied zwischen dem Leben aus dem Geist und dem Leben nach dem Fleisch?
Der heilige Paulus macht es uns sehr deutlich, indem er uns die Früchte des Fleisches und die Früchte des Geistes vor Augen stellt:
“Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid, maßloses Trinken und Essen und Ähnliches mehr. Ich sage euch voraus, wie ich es früher vorausgesagt habe: Wer so etwas tut, wird das Reich Gottes nicht erben. Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit; gegen all das ist das Gesetz nicht. Die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt. Wenn wir im Geist leben, laßt uns auch im Geist wandeln!” (Gal 5,19-25)
Ein Leben aus dem Geist bekämpft mit der Gnade Gottes – und manchmal können solche Kämpfe lang anhalten – die Neigungen des »fleischlichen Menschen«. Die schlechten Neigungen des »alten Menschen«, wie er in der geistlichen Literatur manchmal genannt wird, sind auch nach der Taufe noch vorhanden. Doch mit allem, was Gott uns in der Taufe geschenkt hat – durch die Neugeburt aus Wasser und Geist -, können wir der Versklavung durch unsere ungeordneten natürlichen Neigungen entkommen und die Früchte des Geistes vermögen in uns zu wachsen.
Hören wir nochmals den Katechismus: “Gott schenkt uns mit der Taufe die heiligmachende Gnade, die Gnade der Rechtfertigung, die den Getauften durch die göttlichen Tugenden befähigt, an Gott zu glauben, auf ihn zu hoffen und ihn zu lieben. Gott ermöglicht es ihm durch die Gaben des Heiligen Geistes, unter dem Ansporn des Heiligen Geistes zu leben und zu handeln, und befähigt ihn, durch die sittlichen Tugenden im Guten zu wachsen.” (KKK VII. 1265)
Leider gibt es wohl relativ wenig Menschen, die bewußt nach dem Geist leben und in denen sich die Taufgnade entfalten kann. Solche Menschen mögen für andere manchmal sogar in gewisser Weise unverständlich sein, weil ihre Motive nicht primär aus dem Verlangen und den Wünschen der menschlichen Natur kommen, sondern aus dem Geist des Herrn. Dann mag gelten, was der Herr am Ende des Textes sagt: “Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.”
Hören wir morgen weiter, was Jesus noch zu Nikodemus sagt!