Das Evangelium nach Johannes (Joh 10,11-21): »Eine Herde und ein Hirt«

Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, läßt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reißt sie und zerstreut sie. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe. Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muß ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten. Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen. Wegen dieser Worte kam es unter den Juden erneut zu einer Spaltung. Viele von ihnen sagten: Er ist von einem Dämon besessen und redet im Wahn. Warum hört ihr ihm zu? Andere sagten: So redet kein Besessener. Kann ein Dämon die Augen von Blinden öffnen? 

Der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe. Das ist der entscheidende Unterschied zum »bezahlten Knecht«, dem nichts an den Schafen liegt. Wenn wir dieses Gleichnis Jesu auf die Menschen hin deuten, ist der Knecht kein inniges Liebesverhältnis zu den Menschen eingegangen, das ihn verpflichten würde. Wenn der Wolf kommt, fürchtet er um sein eigenes Leben und überläßt die Schafe den Wölfen. Im schlimmsten Fall kooperiert er sogar mit den Wölfen und nimmt ihre Weise an.

Die Bindung, die der Herr mit seinen Schafen eingeht, ist so tief, daß Jesus die Seinen niemals im Stich lassen würde. Sie sind ihm vom himmlischen Vater als kostbares Gut anvertraut, und er will nicht, daß auch nur eines von ihnen verlorengeht. Wie könnte er auch! Gottes Zusagen sind unverbrüchlich. Sie tragen seinen Stempel. Trotz der Untreue seines Volkes hat der himmlische Vater seinen Bund mit uns nie gebrochen. Sein Sohn hat diesen Bund mit seinem Blut besiegelt.

Jesus geht mit den Seinen eine innige Verbindung ein, die bewirkt, daß der Herr und diejenigen, die ihm nachfolgen, einander erkennen. Es ist ein gegenseitiges Erkennen: Wir, die wir von ihm erkannt sind, erwachen zu einer gelebten Liebe zu Jesus. Das bedeutet, daß wir sein Herz kennenlernen, die Anliegen, die er uns mitgibt für unseren Weg der Nachfolge und darüber hinaus für alle Menschen, daß wir sie nicht nur in unser Herz einlassen, sondern sie zu unserem eigenen Anliegen machen. In der wahren Liebe, die Jesus uns schenkt und die unsere Antwort auf ihn zu einer wahren Liebe werden läßt, geschieht jene Vereinigung mit ihm, die unzerstörbar ist, wenn wir ihm treu bleiben.

Sicher können nicht all seine Zuhörer – damals wie heute – seine Worte gleich verstehen. Selbst seine engsten Jünger mußten oft vom Herrn eine genauere Deutung seiner Worte erhalten. Aber es ist auch nicht nötig, immer alles zu verstehen. Wichtig ist es, daß die Menschen dem Herrn vertrauen, sich von der Wahrheit seiner Worte und Taten und auch von der Göttlichkeit seiner Person berühren lassen. Wenn das geschieht, dann nehmen sie den Geist des Herrn auf, der sie weiter unterweisen wird und sie auch immer mehr verstehen läßt, was der Herr ihnen sagen möchte.

Dann spricht Jesus weit in die Zukunft hinein: “Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muß ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten”.

Jesus ist gekommen, um in ihm die ganze Menschheit zu vereinen. Die treue Braut Christi, die Kirche, hat diese Aufgabe von ihm übernommen. Als seine Jünger wissen wir, was das bedeutet. Durch die Verkündigung des Evangeliums und die Gründung seiner Kirche will der Herr Juden und Heiden zusammenführen und in ihm vereinen. Alle Menschen sollen das Heil erfahren. Nie hat Jesus diesen Wunsch aufgegeben, und niemals kann die Kirche sich jemals von diesem Auftrag lösen und ihn etwa dem Zeitgeist entsprechend relativieren. So unverbrüchlich die Treue Gottes ist, so unverbrüchlich bleibt der Auftrag!

Und wieder sagt Jesus ein Wort, das wir tief in uns aufnehmen sollten. Er gibt sein Leben hin für seine Schafe. Das ist der Auftrag seines Vaters. Jesus gibt es freiwillig hin. Er ist nie einfach den Umständen ausgeliefert, sondern er bestimmt die Stunde seines Todes. Er gibt sein Leben und kann es kraft seiner Gottheit auch wieder nehmen. Davon hören wir am Ende des Evangeliums, wenn Jesus von den Toten aufersteht.

Als er das alles vor den Juden ausgesprochen hatte, sagten jene, die ihn nicht verstehen wollten: “Er ist von einem Dämon besessen und redet im Wahn” und warnten davor, Jesus weiter zuzuhören.

Doch Jesus verkündete die Weisheit Gottes und das, was der himmlische Vater für seine geliebten Menschen vorbereitet hatte. Nicht alle wollten den Verdächtigungen Jesus gegenüber folgen und sie bekannten: “Das sind nicht die Worte eines Besessenen. Kann etwa ein Dämon die Augen eines Blinden öffnen?”

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