Die Pharisäer riefen den Mann, der blind gewesen war, zum zweiten Mal und sagten zu ihm: Gib Gott die Ehre! Wir wissen, daß dieser Mensch ein Sünder ist. Er antwortete: Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Nur das eine weiß ich, daß ich blind war und jetzt sehe. Sie fragten ihn: Was hat er mit dir gemacht? Wie hat er deine Augen geöffnet? Er antwortete ihnen: Ich habe es euch bereits gesagt, aber ihr habt nicht gehört. Warum wollt ihr es noch einmal hören? Wollt etwa auch ihr seine Jünger werden? Da beschimpften sie ihn: Du bist ein Jünger dieses Menschen; wir aber sind Jünger des Mose. Wir wissen, daß zu Mose Gott gesprochen hat; aber von dem da wissen wir nicht, woher er kommt. Der Mensch antwortete ihnen: Darin liegt ja das Erstaunliche, daß ihr nicht wißt, woher er kommt; dabei hat er doch meine Augen geöffnet. Wir wissen, daß Gott Sünder nicht erhört; wer aber Gott fürchtet und seinen Willen tut, den erhört er. Noch nie hat man gehört, daß jemand die Augen eines Blindgeborenen geöffnet hat. Wenn dieser nicht von Gott wäre, dann hätte er gewiß nichts ausrichten können. Sie entgegneten ihm: Du bist ganz und gar in Sünden geboren und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus. Jesus hörte, daß sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn? Da antwortete jener und sagte: Wer ist das, Herr, damit ich an ihn glaube? Jesus sagte zu ihm: Du hast ihn bereits gesehen; er, der mit dir redet, ist es. Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder. Da sprach Jesus: Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die nicht Sehenden sehen und die Sehenden blind werden. Einige Pharisäer, die bei ihm waren, hörten dies. Und sie fragten ihn: Sind etwa auch wir blind? Jesus sagte zu ihnen: Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde.
Was für eine Wohltat, inmitten dieser verstockten Pharisäer eine gesunde jüdische Stimme zu hören! Heute begegnen wir noch einmal dem Mann, der von seiner Blindheit geheilt wurde. Trotz der feindseligen Atmosphäre, die ihn umgab, hatte er den Mut, das zu sagen, was er erkannt hatte. Offensichtlich fürchtete er sich keineswegs vor den Pharisäern, sondern hielt an seiner gewonnenen Überzeugung fest, daß ein Prophet an ihm gehandelt habe. Schon bei seiner ersten Befragung hat er bezeugt: “Er ist ein Prophet!”
Bei der zweiten Befragung, als die Pharisäer ihn überzeugen wollten, daß Jesus ein Sünder sei, wird sein Zeugnis noch deutlicher: “Noch nie hat man gehört, daß jemand die Augen eines Blindgeborenen geöffnet hat” und er fährt fort: “Wir wissen, daß Gott Sünder nicht erhört; wer aber Gott fürchtet und seinen Willen tut, den erhört er”.
Er hatte verstanden, daß etwas Außergewöhnliches an ihm geschehen war und daß das nur durch einen Gesandten Gottes geschehen konnte: “Wenn dieser nicht von Gott wäre, dann hätte er gewiß nichts ausrichten können”.
Wir sehen, daß die Pharisäer darauf nichts mehr antworten können. Die Tat Jesu vor aller Augen und die Worte des Geheilten sind derart wahrhaftig und folgerichtig, daß ihnen eigentlich nur der Weg offenblieb, sich ernsthaft die Frage zu stellen, wer Jesus wirklich war, und ihre bisherige Haltung zu korrigieren. Das wäre die richtige Antwort gewesen. Doch dazu waren sie nicht bereit, und sie reagierten so, wie man es von Menschen kennt, wenn sie sich offensichtlich der Wahrheit verschließen. Das führt dazu, daß man diejenigen, die die Wahrheit sagen und bezeugen, beschimpft. Im schlimmsten Fall werden sie verfolgt und getötet, wie es später Jesus und vielen seiner Zeugen erging.
Diese leider typische Reaktion, die Wahrheit zurückzuweisen und stattdessen den Träger der Wahrheit zu beschimpfen, sehen wir auch im heutigen Evangelientext. Die Reaktion der Pharisäer auf das unerschrockene Bekenntnis des Geheilten war: “Du bist ganz und gar in Sünden geboren und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus!” Es blieb ihnen kein anderes Mittel mehr!
Der ehemals Blinde begegnet Jesus erneut. Der Herr gibt sich ihm zu erkennen, und er kommt zum Glauben an ihn. Geistlich gesehen können wir den Vorgang so beschreiben: Die einen stoßen ihn hinaus, weil er die Wahrheit bezeugt, ein anderer, der die Wahrheit selbst ist, nimmt ihn auf, und dabei empfängt er das ganze Licht. Der Blindgeborene wird sehend. Nicht nur, daß Gott ihm das Augenlicht schenkt, sondern er wird auch auf einer anderen Ebene sehend: Er kann den Sohn Gottes erkennen und an ihn glauben.
Nach dieser so bedeutsamen Heilung entläßt Jesus uns nicht, ohne uns noch eine wichtige Lehre zu geben. Die Pharisäer nämlich, die bei der Begegnung des Mannes mit Jesus zugegen waren, hörten das Wort des Herrn: “Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die nicht Sehenden sehen und die Sehenden blind werden.” Da fragten sie ihn: “Sind auch wir blind?”
Und wieder erteilt uns der Herr eine Lektion, die immer gültig bleibt: “Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde”.
Die Blindheit der Pharisäer ist offensichtlich. Sie meinen, Jesus aufgrund einer besseren Kenntnis ihrer Religion zurückweisen zu können, ja sogar das Recht zu haben, das Todesurteil gegen ihn auszusprechen. Sie gehören also zu denen, die glauben, daß sie sehen. Aber die Begegnung mit Jesus und ihre Verschlossenheit ihm gegenüber bezeugen, daß sie blind geworden sind. Es ist der Stolz, der sie blind macht! Und der Herr bringt es ans Licht! Welche Tragik!