Grundlagen des geistlichen Lebens (Teil 4 )

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Ein Hinweis: in diesen Tagen behandeln wir Themen des geistlichen Weges. Wer es vorzieht, eine Betrachtung über die Lesungen des Tages zu hören, kann dies unter folgenden Links tun:

Lesung: Gal 3,7-14: https://elijamission.net/2020/10/09/

Evangelium: Lk 11,14-26: https://elijamission.net/2021/10/08/

Gestern haben wir über die Tugend der Tapferkeit nachgedacht, die so wichtig ist, um dem Herrn standhaft und beharrlich folgen zu können. Heute wollen wir uns mit einer weiteren Kardinaltugend beschäftigen: der Mäßigung.

Die Tugend der Mäßigkeit – »Temperantia«

„Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, müßt ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die sündigen Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben (Römer 8,13).”

Die durch die Erbsünde bedingte Unordnung im Menschen soll durch die Gnade Gottes und durch unsere Mitwirkung wiederhergestellt werden. Die Auflehnung der Sinne und Leidenschaften gegen den Geist bedürfen einer weisen Zügelung.

Nehmen wir als Beispiel die tägliche Nahrungsaufnahme. Sie ist gut, ja lebenserhaltend, und wurde dem Menschen von seinem Schöpfer gegeben, damit sie ihm diene.

Alles, was der Herr geschaffen hat, trägt den Stempel seiner Gutheit und Liebe, und wir dürfen uns mit Dankbarkeit und Lobpreis daran erfreuen. Allerdings bedarf es des rechten Umgangs mit diesen guten Gaben Gottes, damit sie im Sinne der Vernunft gebraucht werden und nicht das Leben des Geistes beeinträchtigen.

Für diesen Weg kommt uns die Tugend der Mäßigung zu Hilfe, damit wir eine innere Harmonie finden und mit unserem sinnlichen Begehrungsvermögen so umgehen, daß es uns dient und wir nicht weiter in einer inneren Unordnung verharren. Wird der ungeordnete Drang nicht gezügelt, dann werden wir geschwächt oder gar zur Sünde verführt. Ein Leben, welches sich dem sinnlichen Drang überläßt, ohne ihn zu zügeln und zu ordnen, formt sich nicht nach dem Geiste Gottes. Es kann nicht in die Tiefe gelangen und nicht die Herrschaft des Geistes im »eigenen Haus« gewinnen. Der Mensch bleibt in seiner Unbeständigkeit gefangen und wird, je nach Intensität der ungeordneten Sinnlichkeit, von ihr versklavt.

Deshalb fordert uns der Apostel auf, die »Werke des Fleisches« (vgl. Gal 5,19) zu töten. Damit ist gemeint, daß wir die Zügel anlegen und wahrnehmen, wo wir das Maß und somit eine innere Balance verlieren.

Denken wir z.B. an den Genuß von Alkohol: Wie sorgsam haben wir damit umzugehen, damit weder eine ungeordnete Begierlichkeit noch eine Gewöhnung uns an den Alkohol binden, dessen Genuß bei exzessivem Gebrauch gar zum Laster wird. Wie sehr erfreut ein Glas guten Weines das Herz des Menschen (vgl. Ps 104,15) – aber wie entgleist er in seinem Verhalten, wenn über die Maßen getrunken wird!

Nicht leicht zu verstehen – aber trotzdem nicht weniger wahr – ist die Tugend der Mäßigung bei der Aufnahme von Speisen. Zügeln wir unsere Begehrlichkeit beim Essen nicht, dann werden wir leicht den Egoismus in uns fördern und den Blick auf uns selbst konzentrieren.

Das Fasten, welches leider fast völlig aus dem Blickfeld der kirchlich empfohlenen asketischen Übungen geraten ist (nicht so übrigens bei den orientalischen Christen), wirkt diesem entgegen.

In einem Tagesgebet der Fastenzeit heißt es: “Das Fasten mindert in uns die Selbstsucht und öffnet das Herz für die Armen.” Damit ist ein Kernpunkt der Tugend der Mäßigung angesprochen: Wir sollen innerlich freier werden, denn jedes ungeordnete Verlangen, das keine Zügelung erfährt, vermindert unsere Freiheit, welche ja ganz auf den Herrn ausgerichtet sein soll. So ist das Fasten nicht einfach nur eine disziplinäre Angelegenheit der Selbstbeherrschung, sondern es steht im Dienst des Herrn, abgesehen von weiteren Dimensionen des Fastens, welche vor allem im geistlichen Kampf gegen den Teufel wirksam werden.

So wird die Tugend der Mäßigkeit zu einem inneren Wächter, die guten Gaben Gottes richtig zu gebrauchen, damit sie nicht das Leben des Geistes beeinträchtigen. Sie dient zur Überwindung der Disharmonie, welche die Erbsünde und die persönlichen Sünden in uns hinterlassen haben. Das geht jedoch nicht ohne Verzicht, was im biblischen Text als  »Abtötung«  bezeichnet wird.

Mit der Mäßigkeit verbinden sich weitere Tugenden: Die Nüchternheit, Keuschheit, Enthaltsamkeit, Bescheidenheit. Schauen wir jede einzelne Tugend an, dann können wir eine innere Verwandtschaft erkennen, denn all diese Tugenden stehen im selben Dienst: das Leben des Geistes und damit das Wirken des Heiligen Geistes in uns zu schützen und zu fördern.

Es kommt noch ein Punkt hinzu: Wenn wir die Tugend der Mäßigung praktizieren, die ja durch Einsatz unseres Willens geschieht, dann weisen wir nicht nur das unmäßige Verhalten zurück, vermeiden also ernste Gefahren, sondern diese Tugend wirkt dann auf Dauer mäßigend und heilsam auf die Unruhe unseres sinnlichen Begehrungsvermögens ein. Das wiederum hat auch positive Folgen für unsere Zurüstung zum geistlichen Kampf gegen unsere drei Feinde und ist bereits ein wichtiger Bestandteil dieses Kampfes.

Die Kardinaltugend der Mäßigung bezieht sich natürlich nicht nur auf die sinnliche Sphäre, der wir uns zunächst zugewandt haben, weil wir es jeden Tag mit ihr zu tun haben. Sie ist sozusagen unser tägliches Kampfgebiet, dennoch sollten wir uns bei der Mühe um Mäßigung nicht verkrampfen oder in ungesunde Extreme verfallen. Auch die geistigen Güter verlangen nach Mäßigung; es gibt z.B. auch einen ungeordneten Wissensdrang, welcher die Neugierde fördern kann…

Ein weises Wort des heiligen Augustinus mag uns die Richtung anzeigen für die Übung der Tugend der Mäßigkeit:

“Die Tugend der Temperantia ist jene Liebe, die den Menschen unversehrt und unangetastet bewahrt für Gott.”