Geistliche Lehre (II) – Die Askese

Ich habe dieses Thema in den täglichen Meditationen im letzten Jahr recht ausführlich behandelt und empfehle, es nachzulesen.[1] Im Zusammenhang mit unserem Thema ist es jedoch sinnvoll, nochmals darauf einzugehen, denn die Askese begleitet uns das ganze Leben hindurch, um es in eine fruchtbare Ordnung zu bringen und darin zu bewahren.

Als Askese (ein vom griechischen Verb ἀσκεῖν askeín ‘üben’ abgeleiteter Ausdruck) bezeichnen wir den Kampf um die Zügelung, zunächst unserer sinnlichen Neigungen. Wir müssen lernen, sie zu beschneiden, ihnen eine Ordnung zu geben, in der diese vitalen Kräfte sich positiv entfalten können und nicht zerstörerisch werden. Es muß uns bewußt sein, daß diese Kräfte häufig über das gesunde Maß hinausgehen, sobald man sich einfach den natürlichen Antrieben überläßt. Wenn dies geschieht, dann wird die sog. Spannkraft der Seele geschwächt.  Es gilt dann ‘die Übertretung’ zu verarbeiten. Man ist in Zerstreuung geraten, muß wieder aufholen und die “Scherben müssen eingesammelt werden”.

Die Spannkraft der Seele:

Was ist mit diesem Ausdruck gemeint? Werden wir uns klar, daß unsere Seele ihre Heimat in Gott hat. Nichts möchte sie mehr, als bei Gott zu sein. Dort wird sie ja auch in der Ewigkeit – völlig gereinigt und mit einem gewandelten Leib beschenkt – in der immerwährenden Anschaung Gottes leben. Sie sehnt sich aber auch schon auf Erden nach der Gemeinschaft mit Gott. Am liebsten hätte sie es, es würden ihr ‘geistige Flügel’  wachsen, um sich leicht zum Herrn aufschwingen zu können.

Die Spannkraft der Seele wird gestärkt durch alles, was mit Gott zu tun hat: durch das Gebet, das Wort Gottes, die Sakramente, den sorgfältigen inneren Weg usw. Die Seele wird jedoch geschwächt, wenn die natürlichen Bedürfnisse ein unvernünftiges und überzogenes Gewicht haben. Die Seele klebt dann sozusagen am Boden, eingebunden in die sinnliche Sphäre.

Damit die Seele – in ihren Kräften des Verstandes, des Gedächtnisses und des Willens – sich leichter auf die Weisungen Gottes einlassen kann, ist es nötig, die Askese zu üben, um der gefallenen Natur klug die Zügel anzulegen. Unser Geist soll der Reiter sein, der das Pferd lenkt, damit es nicht mit ihm durchgeht.

Durch die Zügelung unseres sinnlichen Verlangens gewinnen wir, mit der Hilfe Gottes, die Herrschaft über uns selbst und werden zu “Herren im eigenen Haus”. Es entsteht nun wieder eine ursprüngliche Ordnung, die durch den Sündenfall gestört war. Unser Geist sollte ja unter der Anleitung Gottes die Richtung des Willens bestimmen und dazu unsere natürlichen Antriebe in den Dienst nehmen. Diese Ordnung kann wieder neu entstehen – wenn auch unter Anstrengungen.

In Bezug auf unser Thema handelt es sich also bei der Askese um die sog. aktive Reinigung, die wir unter der Initiative des Heiligen Geistes mit unserem Willen durchführen. Alles, was nun wieder unter unsere Herrschaft gerät, macht uns beweglicher, den Anregungen des Geistes des Herrn zu folgen.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel:

Der Heilige Geist lockt uns, morgens früher aufzustehen, um in der Stille zu beten. Meine Trägheit und ein Potential an Zerstreuungen verhindern das, was mir Gott mit der morgendlichen Gebetszeit eigentlich schenken möchte. Doch der Heilige Geist läßt nicht locker und ruft mich immer wieder. Jetzt entscheide ich mich willentlich, dieser Einladung zu folgen und erziehe mich zum früheren Aufstehen. Sofort merke ich eine Veränderung. Der Tag beginnt anders, ich bin näher bei Gott. Jetzt nehme ich mir vor, der Einladung Gottes konsequent zu folgen, arbeite an meiner Trägheit und stärke somit auch den Willen. Je mehr dies geschieht, desto leichter wird es mit der Zeit. Nun kann der Heilige Geist wirken, und es wird mir in seinem Licht klarer, was ich alles durch meine Trägheit versäumt habe. Es schmerzt mich, aber dieser Schmerz wird nun zum Antrieb, mir nicht mehr nachzugeben, und falls es aus Schwachheit wieder einmal geschehen sollte, es sofort zu bereuen und mich wieder auf den Weg zu machen. Ich merke zunehmend, daß Gott dies gefällt, und das schenkt Frieden. Die Gabe der Frömmigkeit ist stärker aufgewacht und hat mich erleuchtet.

Die Liebe Gottes, der Heilige Geist, hat auf unsere Liebeskraft – nämlich unseren Willen – eingewirkt, um die Hindernisse auszuräumen, die seinem wachsenden Einfluß auf uns im Wege stehen, um uns zu einer neuen Freiheit in Christus zu führen.

Dieses Beispiel mag für viele andere stehen, wie wir gerufen sind, mithilfe der Askese an unserer inneren Reinigung mitzuwirken.


[1]              Teil 1: https://elijamission.net/2020/10/13/

Teil 2: https://elijamission.net/2020/10/14/

Teil 3: https://elijamission.net/2020/10/15/

Teil 4: https://elijamission.net/2020/10/16/

Teil 5: https://elijamission.net/2020/10/17/